Mittwoch, 10. August 2011

Das Haus, das Verrückte macht...

Der Leser stelle sich folgende Situation vor: Er/sie kommt an einem Urlaubstag der eigentlich für Arbeiten am Umzug genutzt werden soll gegen 9:30 in die Stadtverwaltung der neuen Stadt. Wir nennen sie jetzt mal Augsburg. Als Neubürger gibts ja so einige Dinge zu erledigen. Die Ummeldung der besseren Hälfte und der eigenen Person, die Ummeldung des Automobils. Außerdem ist ein Anwohnerparkausweis immer sinnvoll. Als erstes versuchen wir es somit gleich in der Innenstadt im Bürgeramt. Es ist Ferienzeit. Wir haben die Hoffnung, dass also alles in menschenwürdiger Art und Weise erledigbar ist. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Doch Pustekuchen. Eine Schlange von ca. 80 Personen reicht bis raus auf den Gehsteig. Eine Schlange, die nur ansteht, um eine Wartenummer zu bekommen. Sie haben richtig gelesen. Anstehen um eine Wartenummer an einem Schalter, der gleichzeitig als Info genutzt wird. Einen Nummernautomaten sucht man schon mal vergebens. Nachdem wir unsere Zeit nicht im Lotto gewonnen haben reift dann auch nach 10 Minuten, in denen sich die Schlange um keinen Meter bewegt hat, der Entschluss der Vernunft, es in einer anderen Filiale zu probieren. Also auf in Filiale Nummero 2, nachdem ein Leidensgenosse uns erklärt hat, dass die 3. und letzte weitere Filiale (die eigentlich dem neuen Wohnsitz nächste) derzeit wegen Bauarbeiten so mal komplett geschlossen ist.

In Filiale 2 dann die Erkenntnis, dass es hier wenigstens einen Nummernautomaten gibt. Allerdings sind auch hier ca. 100 Personen vor einem bei 4-5 besetzten Schaltern. Also entsteht irgendwann der Entschluss, das ganze als Fahrt fürs Ozonloch abzubuchen. Angeblich hat die Stadtverwaltung derzeit ja schon immer ab 7 Uhr auf, um den Andrang zu kompensieren. Diese Info zu Hause im Web geprüft und am nächsten Tag um 7:00 erneut zum Amt.

Ankunft Punkt 7 vor Filiale 1: Hier sind bereits um diese Zeit wieder über 50 Personen vor der noch geschlossenen Türe. Parkplatz vor der Türe? Fehlanzeige. Auch in den Straßen daneben ist alles voll. War klar. Weiter zu Filiale 2. Hier um 7:10 eingecheckt. "Nur" 22 Menschen vor mir.

Vormals hoffnungsfrohe Artgenossen werden nach jeder weiteren Viertelstunde verzweifelter.
Grauen Haaren beim Wachsen zusehen.
Eine Katze streift um die Wartenden. War sie pünktlicher da, als wir Menschen? Die Katze ist getigert. Auf meine freche Frage an einen vorbeieilennden Amtsinsassen, darauf die Staunen machende Antwort: "Die kommt jeden Tag, der gefällts hier." Können Tiere zu Masochismus neigen? Ist die Wand mir gegenüber eher Dunkelweiß oder doch eher beige? Mich diesen entscheidenden Fragen des Lebens überlassend gedenke ich meiner besseren Hälfte, die in der Zeit allein die Kartons befüllen darf. Sie leidet zu Hause. Ich leide hier.

Gegen 9 dann endlich selber dran. Man trifft auf eine Sachbearbeiterin, die Herz und Verstand verbindet und trotz einem fehlenden Dokument eine Stunde später keinen 2. Gang durch die Wartewüste Gobi mehr erwartet. Um 10:15 dann wieder da. Komme auch gleich bei ihr dran. Die Leut die jetzt erst kommen, sind verzweifelt. Wartenummern gibts keine mehr, da bereits jetzt soviele warten, dass es locker ne Stunde über die 12:30 Uhr Öffnungszeitende hinaus langt. Mein 'Vorgezogen werden' erweckt nicht einmal mehr Neid. Hier scheinen ganze Generationen in einem Raum mit dem Leben abgeschlossen zu haben? Passives, trauriges Dulden.
Gab es im frühern Mittelalter bereits Wartenummern? Die Kirchenväter, die das Fegefeuer erfunden und in die Bibel graviert haben, scheinen Wartenummern schon gekannt zu haben. Aber waren diese Kirchenväter auch alle Augsburger? Und wenn ja, warum?

Mein Fazit: Mir (und mehreren hundert anderen Menschen alleine in dieser Woche ebenfalls) wurde Zeit gestohlen. Viel Zeit. Lebenszeit. Zeit, in der mir Stress erspart worden wäre.

Diese Zeit wurde uns deshalb entwendet, weil irgendwo im Management einer konservativ geführten Stadtverwaltung jemand nicht in der Lage ist, Personalplanung, Resourcenplanung oder Ähnliches auch nur in primitivster Form auf die Reihe zu bekommen. Hier werden Sachbearbeiter vor Ort für kleines Geld ausgebeutet. Sie stehen in viel zu kleiner Anzahl Menschen gegenüber, die einen Hass auf Ämter und Behörden bekommen, bevor sie überhaupt mit einem lebenden Menschen sprechen konnten.

Ist das die neue Bürgerfreundlichkeit? Ist das die Zukunft? Alles was nicht online erledigbar ist, wird zum Spießrutenlauf, zur Tortur?

Mein liebes Augsburg. Schade, dass mich Deine Offiziellen so kennenlernen müssen. Aber die Dienstaufsichtsbeschwerde ist bereits in Arbeit. Natürlich mit Kopie an die lokale Presse. Und sie richtet sich definitiv nicht gegen die armen Kollegen an der Basis, die alles aufzufangen versuchen. Sie wird sich an die richtigen wenden. An die Frühstücksdirektoren mit der immer gleichen großen Klappe und dem Sparzwang in ihren immer gleichen neoliberalen Sonntagsreden. Mit den Sonntagsreden, mit denen schon Volkswirtschaften, Großunternehmen, ganze Staaten an die Wand gefahren wurden.

Kurzfristig ändern wird die Beschwerde nichts. Aber nichts tun ändert noch weniger.

Trotzdem. Für eine Beschwerdekultur in einem Land der undichten Denker und Duckmäuser! Fangen wir vor Ort damit an. Auch wenn es wieder mal in den Wind gesprochen sein wird...







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