Donnerstag, 21. Februar 2013

Von ein wenig Lohnschreiberei 

und von vielen "Kopf in den Sand-Steckern"


Seit einigen Tagen läuft ein sogenannter Shitstorm gegen einen großen internationalen Konzern namens Amazon. Ausgelöst hat ihn eine Reportage des offentlich-rechtlichen Fernsehens. Irgendwie scheint diese Geschichte einen Nerv getroffen zu haben. Auch meinen eigenen. Sie war offenbar am richtigen Tag zur richtigen Zeit zur Stelle. Sie ist angekommen. Über die üblichen Spartenzielgruppen hinaus. Es mag ja daran liegen, dass nicht der normale Wahnsinn gezeigt wurde. Viele von uns haben mittlerweile eine Art Hornhaut gegen die ganze, alltägliche Scheiße ausgebildet. 

Lohndrückerei und schwierige Arbeitsbedingungen von ZeitarbeitnehmerInnen schrecken die meisten politisch interessierten Menschen - leider - allein für sich nicht mehr auf. Das Nichteinhalten von Arbeitsvertragsklauseln ist mittlerweile - nicht mehr nur in Schmuddelbranchen - ein Kavalliersdelikt geworden. Ebenso wenig ist es offenbar noch aufschreckend, wenn Menschen mit offensichtlich deutlich rechtem Gedankengut bei irgendwelchen Sicherheitsdiensten tätig sind.

Aber beides zusammen in einem Problem? Gibts denn sowas? Menschen, die nach Feierabend immer noch keine Ruhe finden? Menschen, die drei Monate leben wie in einem Status der Internierung? Und das über die Weihnachtszeit. In einer Zeit, in der sich andere, noch etwas besser situierte ArbeitnehmerInnen an den Dingen erfreuen können, die von diesen Anderen verpackt und sortiert wurden.

Ich selbst habe mich relativ bald mit dem Shitstorm gegen das Unternehmen solidarisiert. Nicht, weil ich glaube, dass dies grundsätzlich sofort alle oder auch nur einige der vorhandenen Probleme löst. Ich glaube vielmehr, dass wir im Jetzt ansetzen müssen. Mir gehen  die Gefühlslinken mittlerweile dermaßen auf den Zeiger, die mir erzählen wollen, dass wir das Problem doch bei der Wurzel packen müssten. Außerdem sei es dort und dort und dort noch schlimmer. Und wieso ich dann nicht auch noch bei A, B, C, X und Y engagiert bin, das sei doch mindestens genauso wichtig. 
Ich hab es sowas von satt, erklären zu sollen, dass die Probleme vor der Tür liegen. Die Leute wollen Unterstützung und nicht besserwisserisches Verweisen auf den Kapitalismus als alles erklärendes Weltenübel oder ein arrogantes "ja dann wähl halt im Herbst was Sinnvolles".

Da draußen sind all die Mitmenschen, die jeden Tag mit der vereinigten "Kluckheit" der Springerpresse die letzten wachen Nervenzellen sandgestrahlt bekommen. Die sind keinen Deut schlechter wie Du und ich. Sie haben vielleicht nur keine Kraft mehr, sich nach Feierabend noch mit bestimmten Dingen auseinander zu setzen. 

Keiner von uns kann sich im übrigen dieser Masse an Datenmüll entziehen, die täglich auf uns einprasselt. Da draußen sind auch die kleinen Lohnschreiberlein, die - immer in der Hoffnung, endlich in Medienland fest angestellt zu werden - krude Verteidigungsposts in Twitter, Facebook oder Blogform ablassen. Die Beiträge, die unserer schönen demokratischen Öffentlichkeit erklären, dass es nicht sein könne, dass ein öffentlich-rechtliches Fernsehteam sachlich und ehrlich berichten würde. Diese Trauergestalten eines entfremdeten PR-Betriebes, die gar nicht merken, wie sie den letzten Rest Sozialstaat abbauen helfen, der ihnen selber bislang noch halbwegs den Arsch gerettet hatte. Die nicht merken, was sie da gerade kaputt machen. Weil ihnen wie einem Eselchen die Möhre vorgehalten wird. Immer genau so weit weg, dass sie glauben, irgendwann noch ran zu kommen.

Schuld ist immer DIE Politik. DIE bösen Roten und Linken und natürlich DIE Gewerkschaften. Die Gewerkschaften, die durch ihre ach so überzogenen Forderungen schuld seien, dass die ganzen prekären Beschäftigungen alle ins Ausland verschwinden würden. Bei den echten PR-Knechten genauso (das ist nur ein Teil der Einträge) wie bei den konservativen Kleingeistern mit 2,1 Büchern im Schrank und bei den sogenannten Webtrolls, die sonst keiner beachtet (warum wohl) und die deshalb nur provozieren wollen, damit endlich mal jemand mit ihnen spricht. 

Wer sich eine Weile so eine Diskussion in einem Chat oder auf bestimmten Facebookseiten gibt, muss sich fragen, wie viele egomane A...öcher in allen Gesellschaftsschichten eine Demokratie wie die unsere eigentlich noch aushalten kann, bis sie endgültig den Bach runter gegangen ist.

Liebe Revoluzzer, da draußen findet gerade eine gesellschaftliche Debatte statt! Ausgelöst wurde sie von nicht mehr ganz so kleinen Schmutzeleien eines Systems, welches US-Amerikanische Oligopolisten und ihre Symbionten fördert. Aber die Folgen könnten noch wesentlich weitreichender sein.

Längst geht es nicht mehr um ein Unternehmen allein. Da wird über das öffentlich-rechtliche Fernsehen und sein Existenzrecht genauso debattiert, wie über Zeitarbeit und ihre Auswüchse als Ganzes. Grundrechte und No-Gos im Arbeitsalltag werden auf den Seiten ebenfalls diskutiert. 

Dass die herrschenden kapitalistischen Eliten besorgt sind, merkt man daran, dass sich die Bild nun bereits auf Seiten des bedrängten Handelsriesen in die Debatte einmischt. Und wie mischt man sich medial in einen solchen Prozess ein? So, dass sich Meinung nochmals ändern lässt? Man nimmt den Aufdeckern eines Skandals das einzige, was sie am Anfang stark macht: Ihre Integrität. Wenn vermeintlich nicht mehr sicher gestellt sein kann, dass alles stimmt, wenden sich viele Menschen wieder angewidert ab. Was ist danach noch Wahrheit? 

Geschickt wird alles in einen Topf geworfen und umgerührt. Am Ende soll der Schmutz überall kleben. Nicht mehr erkennbar sein, wo er seinen Anfang genommen hat ... Leute? Hallo?? Ponyhof gibts vielleicht beim Fleischer um die Ecke. Das ist das wirkliche Leben! Da reichen keine drei netten Paragraphen und ein wenig Marxlektüre. Da brauchts Phantasie und einen starken Magen, um sich diese Debatten noch zu geben. 3 Schritte vorwärts und 3 1/2 zurück. Und dann vielleicht wieder einen nach vorn. Trotzdem. Jeder überzeugte Anonyme gegenüber im Datenstrom des sozialen Netzwerkes, der anfängt, selbst zu denken ist einer mehr. Einer von vielen. Wir sind viele...wir sind sogar ihr Albtraum! Aber nur, wenn wir das auch wollen.

Liebe Revoluzzer, darum passt mal besser auf, dass ihr keine Lampenputzer werdet! Die Menschen vergessen vieles. Sie vergessen aber ganz sicher nicht, wer ihnen in der entscheidenden Phase einer gesellschaftlichen Entwicklung nicht geholfen hat. Das halten sie euch noch in 100 Jahren vor. Zu was? Zu recht!

Die gesellschaftlichen Fragen finden heute statt. Hier. Jetzt. Nicht nur weit weg. Sie liegen quasi auf der Straße. Zwischen Pferdefleisch und Leiharbeitermassenunterkunft. Die Menschen wollen Inhalte. Geben wir sie ihnen! Und helfen wir dabei, die Massen endlich wieder zu politisieren.