Samstag, 22. März 2014

Politische Schlafwandler 2.0

Oder wann Dummheit weh tun sollte...

Ich schaue gerne Dokus. Ich schau viele Dokus. Was mir mittlerweile mehr und mehr die Zehennägel aufstellt ist, wenn der Mensch als Krone der Schöpfung dargestellt wird. Weder sind wir die Tierart mit dem größten Gehirn noch die, die es am effizientesten einsetzt. Wir sind die einzige Tierart, die in der Lage ist, sich selber vollständig auszurotten. Ohne Beteiligung von Kometen, Vulkanausbrüchen und Supernovae. Einfach so. Wie kann man also als seriöser Wissenschaftler unter einer derartigen Verblendung (oder soll ich es gleich als Verblödung bezeichnen?) leiden? Es ist diese ganz besondere Form der Arroganz und Vermessenheit, die vielen Menschen zu eigen ist. Sich selbst für besser zu halten, als den Rest der Schöpfung.

Bisher war ich der Ansicht, dass wir uns in den nächsten Jahrzehnten durch Klimawandel, Müll und Energieverschwendung langsam und beständig in eine Folge von Katastrophen hineinmanövrieren werden. Eine Katastrophenfolge, die uns eine Serie von Katastrophenszenarien bescheren wird, die vielleicht zu einem Umdenken und einer langfristigen Bevölkerungsreduktion führen würde. Und irgendwann in 150 oder 200 Jahren wird es dann endlich besser.

Ein Gespenst ist zurück
Diese Einschätzung vertrete ich nun nicht mehr. Das andere Gespenst ist wieder zurück. Ein Gespenst, das ich aus Gründen ausreichenden Alters gerade noch kennenlernen durfte. Das Gespenst, dass aus einem kalten Krieg ganz schnell ein heißer Krieg werden kann. Ein weltweiter und endgültiger Krieg. Wie kann es soweit kommen, dass alles, was in den letzten Jahren gewonnen wurde, innerhalb weniger Monate verspielt wird?

Also erst einmal folgende Feststellung: Dies ist kein Pro-Putin-Beitrag. Es soll zumindest keiner werden. Mir ist bewusst, dass die russische Regierung in 2014 weder ein Musterbeispiel demokratischen Zusammenlebens noch überbordender Menschenfreundlichkeit darstellt. Ich will auch nicht aufrechnen, wer mehr Dummheiten als Großmacht begangen hat zwischen Kubakrise in den frühen 60ern und 1. Januar 2014. Die Amis oder die Russen? Es interessiert mich schlicht nicht! Mir geht es um die Analyse der aktuellen Situation. Einer Krise, die vielleicht überraschend gekommen war für viele. Eine Krise, die sich aber auch auf eine gewisse Weise angekündigt hat. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ein solches oder ähnliches Szenario passieren musste.

1990-1992 ist die Sowjetunion auseinander gebrochen. Sie hat sich damals aufgeteilt in ihre ehemaligen Teilrepubliken. Für mich als jemanden, der sich viel mit Geschichte beschäftigt hat war eigentlich nur die Abspaltung einiger spezieller Bereiche wirklich logisch nachvollziehbar. Dazu gehörten für mich die baltischen Staaten. und einige Bereiche im südlichen Kaukasus. Also Regionen, die in den letzten Jahrhunderten durch ihre Geschichte und ihre Struktur nicht durchgehend russisch waren und sich immer schon als erobertes Land betrachtet haben.

Was ich damals (und bis heute) nie so ganz begriffen habe, ist das Auseinanderbrechen der Kernrepubliken Russland, Weißrussland und Ukraine. Die Sollbruchstellen verliefen nicht nach ethnischen, wirtschaftlichen oder kulturellen Gesichtspunkten. Sie verliefen genau wie bei einem Puzzle in den Grenzen der ehemaligen sowjetischen Teilrepubliken. Die damals herrschenden Gouverneure; Generäle und Minister versuchten Fakten zu schaffen, um über den Umweg von Lokalpatriotismus in kleinerem Rahmen ihre Süppchen weiter kochen zu können. Sicherlich waren damals auch Idealisten unter den neueren Politakteuren mit dabei, die sich aus einem "nur schnell weg von Moskau" einen echten Neuanfang versprochen hatten. Und am Anfang sah es ja tatsächlich danach aus. 

Dass damals die ganze militärische Atommacht bei den Russen allein gelandet ist kann gerade jetzt noch fast als ein Glücksfall verstanden werden, für den wir dem Schicksal mehr als nur danken dürfen. Nicht auszudenken, wenn sich momentan eine Atommacht Ukraine mit einer Atommacht Russland die Ultimaten um die Ohren hauen würden. Die Sommerferien 2014 auf diesem Planeten könnten mangels Beteiligung vermutlich schon jetzt für überflüssig erklärt werden.

Trotzdem. Bemerkt jemand bereits den Fehler? Hier in der Zeit von 1990-94 entstand die Keimzelle für ethnische Spannungen, wirtschaftliche und geopolitsche Konfliktherde des 21. Jahrhunderts wurden geschaffen. Ich habe damals befürchtet, dass uns das irgendwann im Westen auf die Füße fallen würde. Ich glaubte schon, mich geirrt zu haben. Doch wie hat der Westen auf diese einmalige Chance reagiert? Es war ja nicht nur Risiko dabei. Es war ja auch ein grundsätzlicher Neuanfang möglich. Der Westen hat nach und nach den Großteil des ehemalige Ostblockes in EU und Nato aufgenommen. Beides ist aus Sicht von ehemaligen Ostblockländern logisch und gut nachvollziehbar. 
Allein wer die Geschichte Polens kennt braucht nicht mehr weiter fragen. Allerdings gab es auch das Versprechen, keine Osterweiterung der Nato auf die Deutsche Wiedervereinigung folgen zu lassen. Mehrmals wurde in der Folge das Grummeln von russischer Seite nicht beachtet. Bereits ein Boris Jelzin protestierte damals scharf beim ersten Irakkrieg. Wen hatte das damals interessiert? Es folgte damals von russischer Seite danach keine langfristige Reaktion. Ebensowenig auf den Krieg im Kosovo. Daraus wurde offenbar geschlossen, dass Russland sich als Großmacht geopolitisch verabschiedet habe. Das war dann vielleicht doch ein wenig voreilig gedacht.

In der Folge hatte der Nachfolger Jelzins, also bereits Putin, in den frühen 2000er Jahren dann mehrmals Initiativen gestartet, eine intensivere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der EU hin zu bekommen. Dies wurde, so versichern es zumindest altgediente Politberater wie Horst Teltschick (ehemals enger Vertrauter von Helmut Kohl) erfolgreich verschlafen bzw. ignoriert. Man glaubte mit der Formalie aus der G7 eine G8 zu generieren, das russische Ego ausreichend gestreichelt zu haben. Dass dabei weder politische Nachhaltigkeit irgendeine Rolle gespielt hatte, noch geopolitische Grundregeln beachtet wurden? Wen juckte es. 

Das Ausgraben eines US-Raketenschirmprojektes - wer erinnert sich noch an das SDI Ronald Reagans Anfang der 80er? - kam bald als weiterer Baustein des Misstrauens hinzu. Auch das war bereits ein Wiedergänger. Ein Zombi des kalten Krieges. Die russische Politelite war zwar sicherlich im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts nicht mehr der irrigen Annahme, die noch den kalten Krieg geprägt hatte, dass die aktuelle USA sie militärisch besiegen wollten. Dieses Szenario dürfte aber dann sehr schnell einem fast ebenso gefährlichen Szenario Platz gemacht haben: Der Angst, mit wirtschaftlichen und diplomatischen Mitteln genauso in die Ecke gedrückt und gedemütigt zu werden.

Auf dieser Basis ist vielleicht auch besser zu verstehen, was eine Russische Regierung um Wladimir Putin bewegt hat, derartig heftig auf die Ereigisse in der Ukraine zu reagieren. Man stelle sich amerikanische Flugzeugträger mit Heimatbasis Jalta oder Odessa vor. Man muss dazu kein übriggebliebener Sowjetgeneral sein, um auf russischer Seite auf solch ein Bild mit Schlafstörungen zu reagieren. Putin regiert inzwischen 15 Jahre, wenn man sein Intermezzo als Ministerpräsident dazu rechnet. Das ist länger als Helmut Kohl oder Konrad Adenauer. Warum sollte dieser Mann urplötzlich wahnsinnig geworden sein? Ganz im Gegenteil: Hinter den aktuellen Handlungen dürfte eine bestechende Logik stecken. Diese Logik mag vielleicht kalt und berechnend sein. Bestimmt ist sie das sogar. Sie ist aber auch nicht verlogener, als ein Freihandelsabkommen, welches demokratische Rechte in mindestes 2 Dutzend EU-Staaten legal auf Eis legen würde. Sie ist nicht verlogener, als weltweit auch bei allen Verbündeten alle Daten zu sammeln. Sie ist nicht verlogener, als einer Ukraine zu versprechen, sie schnell in die EU aufzunehmen und dadurch für alle Bürger des Landes Wohlstand zu generieren. Also so ähnlich wie in Griechenland...

Eine EU, deren schiere Größe und Bevölkerungszahl inzwischen an einem Punkt angelangt sein mag, der den internen demokratischen Institutionen und der europäischen gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzpolitik immer schwerer lösbare Aufgaben aufbürdet. Von der Sozialpolitik gar nicht erst zu sprechen. Eine gemeinsame Sozialpolitik findet (noch) nicht statt. 

In kurzen Worten: Die EU hat genügend Probleme mit sich selbst im Moment. Sie muss aufpassen, ihre demokratische Legitimation bei der eigenen Bevölkerung nicht nachhaltig zu verspielen. Die Eurokrise ist nur das Symptom einer ganzen Reihe von Schwachstellen. Dringende Reformen der bestehenden Institutionen wären dringend und sehr zeitnah erforderlich. Mehr Rechte für das EU-Parlament, weniger Blokademöglichkeiten einzelner opportunistisch handelnder Regierungen, mehr direkte Beteiligung von Arbeitnehmerverbänden und vor allem mehr direkt von Bürgerinnen und Bürgern. In so einer Situation den Menschen in einem Nachbarland Versprechungen zu machen ist mehr als nur unrealistisch. Es ist gefährlich.

Wer ist diese neue Regierung?
 Aber zurück zum Kernproblem: Mit wem verhandeln wir in der Ukraine eigentlich im Moment? Welche Gruppierungen sind dort an der Regierung beteiligt? Wen unterstützen wir hier? Wie ist der Rückhalt dieser Politiker in der Bevölkerung der Fläche außerhalb Kiews? Wie ist es mit der Pressefreiheit? Wann werden die Herrschaften durch demokratische Wahlen legitimiert? Werden sie da überhaupt legitimiert werden? Es ist bereits schlimm genug, das rechtslastige ungarische Regime in der EU ertragen zu müssen.

Doch europäisches Geld für Unfug zu verballern (11 Mrd. sollen es sein) ist das eine. Sanktionen und diplomatische Drohungen auszusprechen sind das andere Kaliber. Diese Drohungen unserer ach so demokratischen Wertegemeinschaft sind momentan sogar noch gefährlicher (und vielleicht noch dümmer). 

Aber wir müssten doch...
Ich höre jetzt bereits wieder den Aufschrei manches Diskutanten, der diesen Blog in den falschen Hals bekommen mag: ""Aber wir müssten doch irgendwas tun. Es könne doch nicht sein, dass wir den Bruch des Völkerrechts durch den Einmarsch der Russen auf die Krim einfach so hin nehmen...""

Was sollen wir denn bitte tun? Etwa selber dort einmarschieren? Oder doch besser alle Beziehungen auf Eis legen und warten, bis bei uns im Westen oder bei den Russen irgendein egomanischer Staabsoffizier den falschen Kopf drückt? Sanktionen vergiften zwar das Klima weiter. Aber sie bewirken alleine nichts. In keine Richtung. Zumindest nichts Positives.

Russland hat seine Truppenstärke auf der Krim von vorher 15.000 (die legal mit der Schwarzmeerflotte dort waren) auf vermutlich 20.000-25.000 erhöht. Bis zu 20.000 Soldaten dürfen sie vertraglich sogar auf der Krim stehen haben. So stellt sich die Situation dar, wenn man diejenigen Medienberichte gemittelt nimmt, die dazu Zahlen abieten. Das mit den 20tausend sehen bisher gültige Abkommen mit der Ukraine so vor. Es ist klar, dass dies von russischer Seite unverschämt weit ausgelegt wird. Es ist auch klar, dass Einheiten ohne Erkennungszeichen, die im öffentlichen Raum patroullieren, kein friedliches Miteinander ergeben werden. Es ist ebenfalls klar, dass eine Volksabstimmung, die überhastet statt findet und die nur die beiden Möglichkeiten Unabhängigkeit oder Zugehörigkeit zu Russland übrig lässt, kein Zeichen für freie Selbstbestimmung darstellt. 
Wer in all diesen Fragen inklusive der Angliederung der Krim an Russland Völkerrecht verletzt sieht, mag formal sicherlich recht haben. Ich möchte das -wie bereits am Anfang klar gestellt - auch nicht in Relation zu anderen Rechtsverletzungen anderer Staaten in den letzten 30 Jahren stellen. Obwohl dies sicher seinen zynischen Reiz hätte. Darum geht es mir nicht. 

Mal davon abgesehen, dass auf der Krim bisher weniger Menschen gestorben sind, als es Opfer von Autounfällen an einem einzigen Wochenende in Oberbayern zu beklagen gibt...

4 Fragen 
Die möchte ich auch nicht selber abschließend beantworten, weil ich das auch nicht kann. Mir fällt nur auf, dass einige Menschen, die meinen, solche Dinge für uns entscheiden zu dürfen, offenbar zu doof sind, sich diese einfach formulierbaren Fragen in einer ausreichenden Tragweite zu stellen:

1. Was könnten wir mit Sanktionen in dieser Sache überhaupt zum Positiven ändern?

2. Warum engagieren wir uns als Deutschland und als EU so sehr in dieser Frage? Wer hat etwas von einer Eskalation eines Kofliktes? Wie sieht es mit den Wirtschaftsinteressen aus? Wissen wir genug darüber, wer hier wie agiert und welche Interessen betroffen sind? Oder sind wir als Europäer nur die Bauern in einem Schachspiel der drei Großmächte, inszeniert als Propagandaschlacht?

3. Dürfen wir uns als Bundesrepublik ausgerechnet in einer Region einmischen, in welche wir vor 70 Jahren zigmillionenfachen Tod gebracht haben?

4. Wie verhindern wir im schlimmsten Fall eine Eskalation in Richtung globale Katastrophe? Wer hat das politisch im Kreuz und wen sollte man fragen der/die sich mit so etwas auskennt?

Meine Antwort darauf ist: Außenpolitik ist nicht Schwarzweiß! Sie hat mit vielen Graustufen zu tun. Sie ist ekelhaft weil die Welt in der wir leben nicht nett ist. Und man muss machmal mit sehr kleinen Schritten zufrieden sein.

Darum gilt: Wenn man etwas zum Positiven ändern kann, sollte man dies als politischer Entscheider tun. Ohne wenn und aber. Wenn man kurzfristig allerdings nichts Positives bewirken kann, sollte man es lassen. Auch ohne wenn und aber. Und um Gottes Willen sollte man vorher auch in der Lage sein, das eine von dem anderen zu unterscheiden.

Einfach mal die Fresse halten!
Manchmal bitte zuerst nachdenken und ggf. auch einfach mal die Fresse halten! Auch wenn dieser Satz jetzt nicht sehr diplomatisch war, ist er oft sehr richtig und mit Sicherheit zeitlos gültig!

Vor mir liegt ein kleines Silbermedaillon auf dem Schreibtisch, welches vermutlich einmal einem Soldaten des 1. Weltkrieges gehört hat. Ob er den Krieg überlebt hat, weiß ich nicht. Dieser Krieg begann damals vor ziemlich genau 100 Jahren. In einem Sommer. Auch damals wollte keiner deeskalieren. Man sah sich ja selbst im Recht. Schuld waren immer die anderen.  

Politische Schlafwandler mit Sandförmchen und einem riesen Ego. Man könnte kotzen über soviel Dummheit...!