Lobbyismus
und Einflußnahme -
oder
„Ich
sehe dumme Menschen“
Den essentiellen Teil von
folgendem Text (etwa die Hälfte davon) habe ich einem Menschen in
den sozialen Netzwerken mitgegeben, der damit hausieren gegangen
ist, dass 99,9 Prozent aller Politikberater doch Lobbyisten wären.
Und man brauchte nur den
Lobbyismus verbieten und alles wäre besser. Die Naivität selbst
unter Menschen, die eine normale Tageszeitung lesen und zum Wählen
gehen ist vielfach einfach nur noch grenzenlos. Ich frage mich, wie
eine Demokratie 70 Jahre bei soviel Denkfaulheit, Unwissenheit,
Egoismus und Naivität überleben kann?
Die Antwort die ich mir
selber gebe, befriedigt mich nicht wirklich, dürfte aber nahe dran
sein: Die Gegner der Demokratie sind genauso doof und die Trägheit
der Masse ist ein physikalisches Grundgesetz. Aber lest selber:
Lobbyismus
Ja. Den gibt es von allen
Seiten: Wirtschaftsverbände, Umweltverbände, Sportverbände,
Gewerkschaften, Sozialverbände. Also nicht nur „die Bösen“ (wo
auch immer man selber gerade nicht steht). Die sogenannten Lobbyisten
und Meinungsmacher machen halt im jeweiligen Wahlkreis Druck, wenn
man ihnen in irgendeiner Form verbietet, in den Parlamentsgängen
oder innerhalb der Berliner Bannmeile herum zu laufen oder nach einem
Wirtschaftsjob sich in einem Ministerium zu bewerben (bzw.
umgekehrt). Ganz praktische Frage: Wie soll man den Versuch der ("nicht
die erfolgreiche!") Einflussnahme verhindern?
Lobbyisten tragen keinen
roten Kreis auf der Stirn gemalt oder – zeitgeistgemäßer -
eintätowiert . Sie schreiben auch Artikel (von denen sich dann auch
jeder Politiker aussuchen kann, ob es eine Einzelmeinung ist oder ob
da jemand an einen Interessenverband gebunden ist). Sie sitzen in
Talkshows, sie haben Lehrstühle in Universitäten...
Warum an Universitäten?
Ganz einfach: Weil die meisten teuren Forschungsprojekte auch Firmen-
und Verbandsfördergelder brauchen, dass es sie überhaupt gibt. Die
Welt ist komplizierter, wie die meisten glauben. So lange ausgewogen
auf die Lobbyisten gehört würde; also Gewerkschaften,
Sozialverbände und Umweltorganisationen genauso Gehör fänden, wie
die Herren Sinn, Markwort oder z.B. die BDI-Führung, wäre die Welt
in Ordnung. Heiß und Eiskalt gibt zusammen zimmer-warm.
Das Problem ist nicht der
Versuch der Einflussnahme. Das Problem ist eine naive
Wirtschaftsgläubigkeit bis hin zur kompletten Ausschaltung des
eigenen Hirnes, wie bei einer Sekte. „Die Märkte“ müssen
befriedigt werden. Nicht nur in Teilen der ersten Reihe der Politik.
Auch in der ersten Reihe der Journalisten ist das breit vertreten.
Trial and Error. Wer lange genug in Redaktionen erleben durfte, wofür
Chef und Verleger loben und wofür die Abmahnungen kommen, der
verinnerlicht so etwas vermutlich, wie die berühmte heiße
Herdplatte. Da wird dann die Kritikfähigkeit irgendwann in den
Mitdreißigern abgegeben zu Gunsten des Zweit-SUV, der Abzahlung des
Reihenhauses und der Privatschule des Nachwuchses. Das ist nicht
schön, aber so oder so ähnlich funktioniert menschliches
Zusammenleben seit mehr als 2000 Jahren.
Damit kommen wir nun
bereits zum Problem mit der fehlenden Waffengleichheit verschiedener
Einflussgruppen. Wer mehr zu bieten hat (nicht nur direkt und sofort pekuniär),
der sticht im Spiel um Meinung und Gehör. Aber so einfach, wie es
gerne dargestellt wird, ist es halt leider auch wieder nicht. Wie
wollen sie einem brillanten jungen Kopf in einem demokratischen Staat
verbieten, sich bei einem Ministerium zu bewerben, der vorher z.B.
bei der Pharmaindustrie gearbeitet hat? Vor allem, wenn man eineN
Fachmann/Fachfrau zu einem bestimmten Bereich (hier z.B. Wirksamkeit
von Behandlungen und Medikamenten) braucht. Die Spezialisten kommen
oft genau aus der Branche, mit der sich die Behörde oder das
Ministerium auseinander setzt. Woher sollen die Leute denn sonst
kommen? Die wachsen nicht auf den Bäumen und haben diese fachliche
Ahnung nicht gleich von selber.
Sonst müssten sie sie
immer frisch von der Uni nehmen. Aber das geht auch wieder schlecht
(zumindest für die wichtigen Entscheider- und Beraterjobs, auf die
dann auch wenigstens manchmal gehört wird), weil diese dann wiederum
beim ersten Gesetz / der ersten Auseinandersetzung gnadenlos von der
Wirtschaftsseite über den Tisch gezogen würden.
Was vielen
führenden politischen Köpfen fehlt, ist es, sich immer beide Seiten
eines Problems anzuhören und ist es auch, bei Gegenwind mal eine
Weile durchzuhalten. Und es ist meistens ein
Problem des Zeitmanagements. Wer sich nicht in seine eigene Materie
einliest und nur auf Berater hört (dies geschieht meistens aus
Zeitmangel), derjenige / diejenige hat schon von Anfang an verloren. Es tut sicher weh, sich Zeit zum Einlesen aus den Rippen schneiden zu sollen, wen man ein Spitzenamt übernimmt. Die 100 Tage von früher werden ja nicht mehr zugestanden. Aber dieses Problem befriedigend zu lösen, das erwarte ich ganz einfach von jemanden in einem Spitzenamt des Staates.
Da wären wir schon am
nächsten Punkt: Der Forderung, dass nur Fachleute aus dem jeweiligen
Bereich Minister werden sollten. Auch den Unfug hab ich schon gelesen. Das sind dann aber oft die selben Menschen, die sich beschweren, warum zu wenig Arbeiter und kleine Handwerker in den Parlamenten sitzen. Diese Forderung ist (wenn auch erst
bei genauerem Hinsehen) noch ein wenig dämlicher, als das Verbot des
Lobbyismus (eines menschlichen Naturgesetzes) zu fordern. Damit hebelt man nämlich
die Demokratie aus und fordert dazu auf, nur noch bestimmte
Berufsgruppen zu bestimmten Ämtern zuzulassen. Mal davon abgesehen,
dass man damit im Zweifel den Bock zum Chefgärtner machen würde,
wenn man wenigstens konsequent in der naiven Antilobbyargumentation
fort fahren würde.
In einer Welt, in der
schon jetzt Verwaltungsjuristen, Anwälte, sonstige höhere Dienst-Beamte und Lehrer die Politik
dominieren und der normale Bundesbürger noch immer auf dem Bauch im
Kottau in der Wahlkabine liegt, wie zu Kaisers Zeiten, wenn ein
Doktor- oder Adelstitel davor steht. Ständestaat? Kastensystem? Auch
das wären die Folgen einer Umsetzung...
Ach so, die meisten
wissen ja gar nicht, um was es geht. War das nicht genau das Problem,
dass die meisten gar nicht mehr durch steigen, wie sie selber
manipuliert werden? Aber von ihren Volksvertretern bereits beim
kleinen ehrenamtlichen Gemeinderat einfordern, dass sie immer bei allem durchsteigen.
Das ist dann nicht mehr nur dumm, das ist dann schon eher
unverschämt. Besonders dann, wenn genau diese Kritiker dann selber ehrenamtliche Totalverweigerung betreiben.
Zu lang geworden? Ja, die
Welt ist halt so kompliziert und nein, wenn alles in 2 Sätzen
erklärbar wäre, hätten wir keine Probleme. Aber die haben wir. Sie
heißen Bräsigkeit, Politikverdrossenheit, Naivität und Trägheit
der Masse. Aber damit wären wir vermutlich wieder am Anfang. Hab ich eine Lösung? Nein! Ich beschreibe nur ein System. Hätte ich eine, dann würde ich hier nicht bloggen, sondern als externer Berater viel Geld einstreichen...! Nein? Doch! ... Oooooh!