Donnerstag, 18. April 2019

Wertschätzung - Web 2.0 oder: Soziales Gift ist eine Frage der Dosis


Nur, weil das mit dem Brand von Notre Dame grad noch aktuell ist: Lasst es doch endlich bleiben, den Grad der Trauer von Menschen zu bewerten! Und damit geht die Spendenbereitschaft doch einher. Ich sag es jetzt mal so hart, wie ich es empfinde: Wer anfängt einzigartigstes Weltkulturerbe gegen Menschenleben aufzurechnen, trägt unbewusst bei zu genau der Barbarei, die beides gering schätzt. Die sich auf diesem Planeten seit Jahrtausenden nicht eindämmen lässt. 

Durfte ich damals trauern, als das Kölner Stadtrachiv aus menschlicher Dummheit in Atome aufgelöst wurde? Darf ich künftig wenigstens noch trauern, wenn ein Haustier stirbt, das mich 13 Jahre begleitet hat? Oder darf ich zumindest um einen einzelnen lieben Menschen trauern, den ich verliere? Oder muss ich mir dann bei all diesen Ereignissen bald auch sagen lassen, "Aber woanders sterben doch viele Menschen." ? " Dort verhungert aber jemand." "Da ist Krieg." "Das ist wichtiger." "Nein, doch das. Da sterben noch mehr" "Du darfst für c nur spenden oder Geld ausgeben, wenn Du das auch für a und b bereits gemacht hast."

Auch bei der Vernichtung der Buddhaststatuen in Afghanistan war mir zum Heulen zu Mute. Das geb ich offen zu. Es war so grenzenlos sinnlos. Genauso beim Brand der Anna Amalia Bibliothek. Ich liebe alte gute Bücher. Das lasse ich mir nicht kleinreden. Wer versucht, mir das zu entwerten, erreicht definitiv das Gegenteil, was er/sie vielleicht möchte. Bei mir und bei vielen anderen. Ich muss bereits jetzt aufpassen, dass mich der Hass vieler nicht ansteckt. Menschen, die Trauern oder verstört sind, wollen ganz sicher nicht hören, dass ihre Empfindungen weniger wert sind, als die Sorge und Bestürzung über andere wichtige Ereignisse oder Probleme. 


Vor dem Web 2.0 hat eine größere Zahl Menschen diese Erkenntnis beherzigt. Oder war es doch nur Schüchternheit und keine Empathie? Menschen Face to Face mit der eigenen Meinung zu konfrontieren braucht mehr, als sie kostenlos anzuschreiben. Kultur und Menschlichkeit gehören für mich immer zusammen und lassen sich nicht abstrakt gegenseitig aufrechnen oder in eine Reihenfolge bringen.

Social Media pervertiert hier auch in manchen Fällen lediglich den Voyeurismus und die gegenseitige Empathie. Jeder Volltrottel darf dort in öffentlichen Seiten seine Verachtung über Gebäude, Institutionen, Demokratie, oder einzelne Religionsgemeinschaften raus blasen. Denn auch das gehört dazu zum freien Web. Jemand verachtet ein Land oder eine Religion und freut sich oder ergötzt sich daran, wenn das, was diesen Menschen heilig und wichtig ist zu Staub zerfällt. Verachtung und Unmenschlichkeit richtig ausformuliert kann von keinem aktuell technisch möglichen Uploadfilter verhindert werden.


Bisher hatte ich noch einen Rest Hoffnung, dass die Möglichkeite von Web 2.0 ff. die Menschen voran bringen. Wenn es mit meiner internen Nutzen- und Schadenanalyse so weiter geht, bin ich mir da aber bald nicht mehr sicher.
Es wird mehr Streit gesäht, als es Positives bringt. Die tägliche Bilderzahl an Katastrophen, die man sich ins Haus holen kann, überfordert eine Spezies, deren Kleinhirn noch beim Jagen von Großtieren oder bestenfalls dem Seßhaftwerden vor 8.000 Jahren stehen geblieben ist, komplett.


Gleichzeitig hat keine seriöse Institution mehr eine Stunde Zeit, Dinge gerade zu rücken. Schon sind die Verschwörer da. Bestellte und auch immer freiwillige. Geistige Brandstifter und Wahnsinnige. Also vorsätzliche und fahrlässige Dummbratzen. Die jede Schadensanalyse eines Problems, eines Unglücks oder Krieges für ihre Scheuklappenweltsicht kapern. Und die, die 10 Minuten nach Erkennen einer Katastrophe schreiben, warum es noch keine Erkenntnis über die Ursache gibt. Sie erkennen ihre eigene zweidimensionale Beschränktheit nicht mehr.


Die Welt der Besserwisser und Kluscheißer haben wir uns ins Haus geholt, ohne es vor 15 Jahren zu ahnen. Die Welt derer, die trotz weltweit akut absterbender Empathiefähigkeiten gerade jetzt damit anfangen, auf ihr Bauchgefühl zu hören. Ein Bauchgefühl von Zombis, bei denen das Fressen vor jeglicher Moral oder Kultur kommt.

Das Ganze wird garniert mit Fakenews jeder Art, die immer echter gefälscht, immer perfider an die Zielgruppen gebracht werden. In den 80ern war weniger Gefahr um die Auslösung des Atomknopfes, als dieser Wirrsinn (das W ist beabsichtigt) es zunehmend generiert.

Die Menschheit tanzt gerade auf einem Vulkan. Und eine Lösung für das Problem gibt es nicht. Die Blender, die sie versprechen, würden uns in eine Gefängniswelt a la Orwells 1984 versetzen.

Auch ich habe keine Lösung. 


Ich werde irgendwann für mich individuell entscheiden müssen, ob ich aus Facebook raus gehe. Da ich politisch aktiv bin, beisse ich derzeit noch in den sauren Apfel, da es viele Newsletter und Onlinezeitungangebote wie ein Brennglas fokussiert, die ich einzeln nicht alle nutzen könnte. Ich mache dort auch meinen ehrenamtlichen PR-Job über Seiten, die ich betreue. Aber zunehmend frag ich mich, ob das gesund für meine Synapsen ist. Ich kenne die Welt ohne halt auch noch.

In Twitter war ich nie. Und werde es auch nie sein. Und Instagram ist für mich nur ein netter Bilderbogen mit sinnfreier Auto- und Reisewerbung. Posenden 20 jährigen, von denen einige den IQ von Bimsstein nur sehr knapp überschreiten dürften. Und von ein paar wirklich echt guten Fotos echt guter Fotograf/innen. Also in der Form, wie ich es nutzen kann, ist es noch harmlos.

Für mich selber bin ich bei der Mediennutzung inzwischen auf einem Weg, bei dem ich noch nicht weiß, wohin er mal gehen wird. Vielleicht deshalb, weil ich doch oft empfindlicher bin, als es meine polternede Seite nach außen manchmal scheinen lässt. 



Mit ratlosen Grüßen
Markus Grill