Samstag, 12. Dezember 2015

Von der Verachtung der Demokratie

Dieser Blogeintrag ist aus Gedanken zu einem Spiegelartikel entstanden.

Widerspruch! In der derzeitigen Lage mit dem Erstarken der Rechten von einer Querfront zu faseln ist eine Frechheit gegenüber Antifaschisten und linken Demokraten, die Gesicht gegen rechtspopulistisches und braunes Gschwerl zeigen. Alleine, dass ein Spiegelredakteur im Dezember 2015 jede Form von Protest in einen Topf wirft und umrührt, zeigt einen weiteren Grund, warum Demokratieverachtung und Wegbrechen der Mitte immer salonfähiger wird: Den Grund, dass in breiten Teilen des Schulwesens - zumindest unterhalb des Gymnasiums - keinerlei klassische politische Bildung mehr statt findet. Aber den benennt er nicht, weil er ihn in seiner Welt offenbar gar nicht wahr nimmt. Aber auch darüber wird es immer dünner und dümmer. Das führt dann eben zu studierten Journalisten, Juristen, Wirtschaftlern und sonstigen Entscheidern (auch einigen in der Politik), deren einzige regelmäßige Beschäftigung mit Literatur der Onlinekontoauszug und die Bedienungsanleitungen von SUV und wohnungseigenem Multimediasystem darstellen.

Ich mache mir in der Tat ähnliche Sorgen um unsere Gesellschaft wie der Autor dieser Einlassungen. Aber aus einer ganz anderen Ursache heraus: Diese viel beschworene Mitte zerbröselt gleich an zwei Enden: 1. Bei den ganzen Dumpfbacken, die komplett nach Rechts abdriften, weil sie zwischen populistischem Unfug und realen Begebenheiten nicht mehr unterscheiden können. Von einer vernünftigen Analyse gesellschaftlicher Gründe für Entwicklungen brauchen wir bei solchen Menschen da leider gar nicht mehr reden. Das war mal in den 70ern oder 80ern, als Hirn nicht nur beim Metzger auslag. Das zweite Abbruchgelände sind dann die Zeitgenoss/innen, die sich gar nicht mehr mit Politik und Gesellschaft beschäftigen. Die sich in die Phantasiewelten von Computerspielen oder - bestenfalls - in ihren Sport oder ihr Hobby flüchten. Die sich der sie umgebenden Realität komplett verweigern. Für die zweite Gruppe hege ich noch eine gewissen Sympathie. Wenn ich auch das Ergebnis eines massenhaften Verweigerungsverhaltens nicht gut finden kann.

Über bleiben der immer kleiner werdende gebildete oder zumindest sozial empathische Rest (nicht unbedingt abhängig vom Schulabschluß), der/die dann schauen darf, wie die Gesellschaft vor Ort noch Irgendwie zusammen gehalten werden kann. Der/die sich bei seinem/ihrem Engagement noch als Spießer, Gutmensch oder gar dumm auslachen lassen darf. Schließlich könne man seine Zeit mit egoistischem Tun doch weit effizienter nutzen. Und die da oben machen doch eh was sie wollen. Die Smombiesierung und Funnysierung unserer Gesellschaft geht zeitgleich einher mit ungeheurerlicher technologischer Entwicklung und einer Entmenschlichung der Arbeit, wie sie sich selbst ein Marx oder ein Bebel damals nie hätten vorstellen können. Wir, also die die übrig geblieben sind in dieser immer kleiner werdenden (linken) Mitte; wir sind Getriebene einer Gesellschaft, in der menschliche Arbeit immer mehr entwertet wird und gleichzeitig menschliche Ansprache (Kundenbetreuung, Pflege, Hilfe) für den Einzelnen immer unbezahlbarer wird.

Dieser vermeintlich Widerspruch in sich ist aber gar kein echter Widerspruch im Neoliberalismus. Der/die Einzelne dreht hohl in einem Hamsterrad der Selbstausbeutung. Echte Kultur wird zum Luxusgut, genauso wie gesunde soziale Interaktion uns immer mehr als ein Luxusgut verkauft werden soll. Das Normale wird dabei dem menschlichen Miteinander genommen. Zumindest im Geschäftsleben wird es ein zu bezahlendes Extra, früher Selbstverständliches weiterhin erledigt zu bekommen. Uns werden zwar immer mehr echte Entscheidungen abgenommen, in dem alles geregelt und überwacht wird. Gleichzeitig werden wir aber mit einer Technik, die immer unübersichtlicher wird, privat alleine gelassen. Jeder von uns soll gleichzeitig Telefontechniker, Hardwareexperte, Versicherungsleistungsantragsonlineausfüller und Möbelselbstaufbauschreiner sein. Dies alles wird uns meist auch noch als Fortschritt verkauft. Aber den Kauf einer altmodischen Glühbirne, das Rauchen einer Zigarette oder bald auch eine normale Standardkerze verbietet man uns, weil wir uns verletzen könnten oder angeblich zu dumm zu entscheiden sind, was uns schadet und was nicht. Es gibt Feinstaubplakettenpflicht für jedes kleine Fiatschnauferl. Und gleichzeitig wird weiterhin das Flugbenzin subventioniert. Alles muss gesetzlich geregelt oder versichert werden. Wenn so etwas dann aber mal schief geht, wie am Beispiel der Hebammen, wo ein ganzer Berufsstand kaputt geht, weil der Absicherungswahn in Form von Pflichtversicherungen nimmer bezahlbar ist, dann ist keiner da, der versucht, es wieder zu reparieren.

Wer in Dauerbeschäftigung gehalten wird, damit immer weniger echte Freizeit hat, aber gleichzeitig immer mehr rechtlich entmündigt wird, verlernt, eigenverantwortlich und für andere Menschen demokratisch Entscheidungen zu treffen. Alles muss angepasst und unauffällig sein. Kompromisse auf Kosten von Menschlichkeit. Soziale Bestandssicherung und Sicherheit werden ausgespielt gegen Kultur und Wissen. Angeblich ist für alles gleichzeitig immer nicht genug Geld da. Und Sicherheit ist ja schließlich immer das Wichtigste. Die geht im Zweifel vor allem anderen. Aber seltsamerweise nicht die soziale, sondern nur die Überwachte vor Bedrohungsszenarien. Abstrakte Angst hilft ablenken vor anderen Problemen, die größer und wichtiger wären.

Ein neoliberaler Nachtwächterstaat mit Erziehungsanspruch an erwachsenen Bürgern aber ohne Bildungsanspruch zur Heranbildung selbständiger demokratischer Individuen! Kapitulation der Meinungsführereliten in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Jeder dieser Elitegscheidhaferl hofft, dass er in seinem eigenen Umfeld noch möglichst lange oben schwimmt in einem System, das sich gerade selber kaputt macht. Aus den Augen aus dem Sinn so lange es nur möglich ist! Aus Übermut? Aus Selbstgefälligkeit? Aus Dummheit!